Es war ein Tag wie jeder andere. Der Wecker klingelte, ich stand auf, duschte und ging zur S-Bahn. Ich hatte einen weiteren Job als Komparse bekommen. Als ich am Drehort ankam, suchte ich mir
einen Platz im Komparsenwagen, holte mein Buch aus meiner Tasche und begann zu lesen. Es sollte nicht lange dauern, bis ich mich nicht mehr richtig auf die Worte in meinem Buch konzentrieren
konnte und mehr auf die Worte einer Unterhaltung achtete, welche wenige Meter neben mir stattfand. "'Perry Rhodan' habe ich früher auch gelesen. War ganz okay, aber ich lese lieber 'Landser'.",
sagte Alpha-Pedro*.
"Landser"? War das nicht diese Nazizeitschrift. Ich war mir nicht sicher, also befragte ich eins der großen Onlinesuchportale. Tatsächlich war "Der Landser" eine Zeitschrift oder besser gesagt
ein Heftroman, so sagte jedenfalls Wikipedia. Eine Heftromanreihe, welche von 1957 bis 2013 erschien, in der fiktive Geschichten von Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg beschrieben und
verherrlicht wurden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Landser
Alpha-Pedro hatte noch einige andere Aussagen parat, welche er über den Verlauf des Vormittages zum Besten gab. "Ich wurde republikanisch erzogen.", war eine dieser Aussagen. Eine andere Aussage
war: "Lieber tot als rot.". Ich sah mich im Komparsenwagen um, wir waren insgesamt ungefähr 20 Leute. Fünf davon waren in der immer wieder fortgesetzten Unterhaltung involviert. Der Rest schwieg.
So wie ich. Ob sie wohl alle angestrengt zuhörten und darauf warteten, dass in der Unterhaltung etwas gesagt wurde, das untragbar war? Warteten sie auf einen Grund um etwas zu sagen? Vielleicht
strengten sich auch alle an angestrengt wegzuhören, damit ihre Ohren nicht anfingen zu bluten.
Ich sah mich mit einem Dilemma konfrontiert. Ich wollte das nicht alles einfach so stehen lassen. Ich wollte etwas sagen. Die Aussagen der Unterhaltung in Frage stellen. Eine Position beziehen.
Gleichzeitig wollte ich nicht alleine gegen eine Gruppe von Leuten anreden. Das hatte ich schon mehrfach getan und wenn alle anderen schreien, ist es egal wie logisch man argumentiert. Doch das
war nicht das einzige, was ich zu bedenken hatte. Ich war hier auf der Arbeit. Ich wollte keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Ich wollte am Ende nicht alleine gegen alle dastehen. Ich wollte
nicht der Streitbeginner sein, und ich sah ein großes Potential für Streit. Ich wollte nicht als Unruhestifter gelten. Was die anderen Komparsen von mir halten würden, war mir egal, doch die
Leute vom Produktionsteam und der Agentur, deren Meinung war mir nicht egal. Ich fühlte mich mit einer gewissen Abhängigkeit belastet.
Ich sah ein paar Mal mit bösem Ausdruck im Gesicht zu Alpha-Pedro und seinen Zuhörern rüber und entschied an dieser Stelle zu schweigen. Meine Meinung wollte ich zu einem späteren Zeitpunkt und
an einer anderer Stelle äußern. Sollte ich allerdings von einer dieser Personen angesprochen werden, würde ich ihr sagen, dass ich sie für rassistisch und sexistisch halte und es bevorzugen würde
keinen privaten Kontakt mit ihr zu haben. Danke.
Dann kam das Essen. Auch das wurde zum Thema. Nicht das Essen vor Ort. Die geforderte Namensänderung des "Zigeunerschnitzels". Das war nun etwas worüber sich alle Beteiligten der Unterhaltung
echauffieren konnten. Nur weil so eine kleine Minderheit sich da auf irgendeine Weise beleidigt fühlen würde, müssten sie jetzt ganz plötzlich und unsinniger Weise darauf achten, was sie sagen.
Mit dem "Negerkuss" sei es ja das selbe gewesen. Ich sah von meinem Buch auf, bewegte meinen Rücken in eine aufrechte Position, atmete tief durch, und sah davon ab zu explodieren. Die
Unterhaltung verstummte für wenige Momente. Plötzlich wurde begonnen sich an anderen Stellen des Wagens zu unterhalten. Doch die Idylle sollte nicht lange halten.
Am Nachmittag folgten verschiedene eigene Geschichten von Alpha-Pedro und seinen Schwaflern. Einige erzählten ihre Bundeswehrgeschichten, andere ihre NVA-Geschichten. Geschichten über den kalten
Konflikt zwischen Ost und West und wie man sich seinen Brüdern auf der anderen Seite gegenüber verhalten hätte. Am Ende war klar, dass wir, also Alpha-Pedro und seine Bundeswehrkameraden, die NVA
platt gemacht hätten, aber vom Russen überrollt worden wären. Wir hatten jetzt auch Munition im Natokaliber. Wir waren die erste europäische Mannschaft, die in Südamerika eine Weltmeisterschaft
gewonnen hat. Immer schön das Wort "wir" benutzen. Wir, wir, wir, wir, wir, wir, wir. Immer wieder wir.
In unserer letzten gemeinsamen Stunde sagte einer der Schwafler noch, dass die Anfänge der AfD gar nicht so verkehrt gewesen seien. "Damals, als der Herr Lucke noch dabei war.". Leider war es
noch zu kalt, um länger als ein paar Minuten außerhalb des Komparsenwagens verbringen zu wollen, und so ertrug ich den Tag innerhalb des gefühlten KKK-Bunkers. Ich kann viel essen, aber ich kann
nicht soviel essen, wie ich an diesem Tag kotzen wollte.
*Name vong 1 "Redaktion" geändert