

Das bin ich. So sehe ich aus. Es ist schon lange her, seitdem ich das letzte Mal ein solches Foto von mir sah und es ist schlimmer als ich dachte. Jetzt, nachdem ich es gesehen habe, fühle ich mich noch schlechter. Es ist das Ergebnis eines langsamen Prozesses, der in den letzten drei Monaten seinen Höhepunkt erreicht hat. Mit mitternächtlichen Pizzagelagen, literweise Cola und Süßigkeitenorgien. Es ging nicht einmal um den Geschmack, nicht wirklich. Zu Geschmack gehört auch ein gewisses Maß an Genuss und von Genuss kann beim Vertilgen der oben genannten, und anderer Dinge, nicht die Rede gewesen sein. Nein. Es ging lediglich darum ein Loch zu füllen, das nicht gefüllt werden kann und eine Sehnsucht zu befriedigen, die nicht befriedigt werden kann. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Nicht mit dem Verzehr von Unmengen an Essen.

Jetzt fühle ich mich schlecht. Nicht einfach nur schlecht. Eklig, widerlich, schwach, fett, unzureichend, unwürdig, hässlich, eine Mischung aus all diesen Dingen ist es, was ich mir gegenüber gerade verspüre. Ich weiß, dass ich all das nicht bin, aber ich fühle mich so. Ich habe mich gehen lassen, wie es so schön heißt. Mich hängen lassen, mich im Stich gelassen, nicht mehr auf mich geachtet.

Ich fühle mich nicht zum ersten Mal so und es gab Momente in denen ich mich direkt nach dem Schlingen ins Bad begab, um mich vor die Toilettenschüssel zu knien, um mir den Zeigefinger ganz weit nach hinten in den Rachen zu schieben. - Mein Reflex Dinge in mir zu behalten ist größer als mein Reflex Dinge auszuspucken. - Es kam etwas hoch, doch es blieb mir im Halse stecken und schob sich langsam wieder nach unten. Der Würgereflex hatte versagt. Ich versuchte es mit etwas mehr Nachdruck. Meine Hand quetschte sich soweit es ging in meine Mundöffnung, doch auch hier gab es Grenzen. – Ich gehöre wohl nicht zu den Menschen, die ihre gesamte Faust in den Mund bekommen. - Ich streckte meinen Zeigefinger so weit aus, wie es ging, und berührte die hintere Rachenwand. Es kam hoch, dieses Mal energischer, doch immer noch nicht raus. Tränen schossen mir in die Augen. Zum Teil wegen des Schmerzes den der Würgereflex im Kampf mit dem Schluckreflex auslöste und zum Teil weil ich nicht einmal das hinbekam. Mit meiner Hand immer noch halb im Mund atmete ich einmal, zweimal, dreimal tief durch und versuchte es nochmal. Diesmal strich ich mit dem Zeigefinder schnell von links nach rechts nach links über das Gaumenzäpfchen. Links, rechts, links, rechts, links, rechts, links, rechts. Es kam hoch und bevor sich der Zugang wieder schloss, floss eine Handvoll über meine Hand und platschte in die Toilettenschüssel. Das reichte nicht. Nochmal. Eine weitere Handvoll. Immer noch nicht genug. Wieder. Jetzt kam der Großteil raus. Ein letztes Mal, doch mein Magen gab nichts mehr her. Ich wischte mir die Hand mit Toilettenpapier ab, spuckte aus, spülte, lehnte mich zurück an die kalte, geflieste Wand und weinte langsam vor mich hin. Ich fühlte mich noch schlechter als zuvor. Es war nicht der Geschmack im Mund oder der Geruch in der Nase, es war, weil ich auf ganzer Linie versagt hatte. Ich ging nicht nach jeder Schlingung zur Toilettenschüssel, doch wenn ich es tat, fühlte ich mich hinterher immer schlechter. Das letzte Mal ist ein paar Jahre her und so soll es auch bleiben.

Doch es ist nicht alles düster. Das habe ich in gewisser Weise auch Grillz zu verdanken. Ich habe etwas von ihr gelesen und das hat mir den letzten Ansporn gegeben mich aus meiner momentanen Lethargie zu erheben und etwas gegen mein schlechtes Körpergefühl zu unternehmen. Sie möchte sich auch sportlich betätigen und jetzt unterstützen wir uns dabei gegenseitig. Vor ein paar Tagen waren wir bei einem Yogakurs und ich habe mich gefühlt, wie ein Fisch der bei einsetzender Ebbe zu nah am Strand war und jetzt in einer der letzten Kuhlen liegt, in denen noch Wasser ist. Es war ein bisschen so wie in der Schule. Ich war zwei Wochen nicht da, es wurde ein neues Thema begonnen und um die Aufgaben zu lösen, muss ich die ganze Zeit beim Nachbarn abschreiben. Hier beim Yogakurs lag, saß und stand ich leider in der ersten Reihe und Abgucken war gar nicht so einfach. Mein persönlicher Höhepunkt kam als die Yogalehrerin uns in eine stehende Position mit einem gebeugten Bein, einem gestreckten Bein und ausgestreckten Armen manövrierte und dann sagte: „Na, so könntet ihr jetzt bis zum Ende des Kurses stehen bleiben, oder?“. Ich schielte zu meinem rechten, gestreckten Bein hinunter, dessen Muskeln schon seit einer halben Minute zuckten und zitterten, fragte mich, ob dies nun der Moment sei, in dem ich zusammenbrechen würde und beantworte die Frage still für mich selbst mit: „Nein.“. Die Erlösung in Form einer anderen Form kam und ich brach nicht zusammen. Es war anstrengend, immer gerade so anstrengend, dass ich es noch aushalten konnte. Danach fühlte ich mich gut. Auch wenn Grillz ganz richtig bemerkt hatte und hinterher anmerkte, dass das Gerede wohl etwas viel für meinen Geschmack war, werde ich trotzdem wieder hingehen. Weil ich kann. Weil ich möchte. Weil es etwas ist, was ich sonst nicht tun würde. Weil es über meine Wohlfühlgrenze hinausgeht. Weil es mir gut tut. Jetzt so zu handeln verdanke ich hauptsächlich Meeri. Wer das ist und was sie damit zu tun hat? Das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt wird.
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