Sie hat ein neues Bild auf der App gepostet. Natürlich schaue ich es mir an. Schon vier Kommentare. Ich schließe die App, um sie direkt wieder zu öffnen, damit ich mir das Bild nochmal anschauen kann. Schon fünf Likes mehr als eben. Ich gehe nur ganz kurz auf ihr Profil. Warum weiß ich nicht. Sie folgt jetzt zwei Leuten mehr. Gestern waren es 249, jetzt sind es 251. Waren es vor einer halben Stunde auch schon 251? Ich weiß es nicht. Vor zwei Stunden waren es noch 249, da bin ich mir ganz sicher, schließlich war ich da auf ihrem Profil, um … also … einfach so. Wem folgt sie da denn jetzt neu? Hm, also unter den ersten 60 Leuten finde ich die Neuen nicht. Jedenfalls nicht so auf Anhieb. Ich schaue mir das Bild nochmal an. Drei Likes mehr. Ein schönes Bild. Also sie ist schön darauf. Es ist ein Selfie in der Bar. Ich dachte, sie wollte gestern zu Hause bleiben. Schon wieder zwei Likes mehr. Ein neuer Kommentar auch.
Ich schaue ihn mir nicht an, sondern schließe die App, gehe in die Küche, trinke ein Glas Wasser, schaue aus dem Fenster, beobachte die Passanten die brav an der Ampel auf Grün warten und die Passanten die unartig an der Ampel bei Rot rüber gehen, trinke noch ein Glas Wasser, hole mein Handy aus der Tasche, öffne die App und lese den Kommentar. „wie süß ***Kusssmiley***“. Halt die Fresse „wie süß“. Von r.a.p.h.i.o … . Ich muss lachen. Was für ein lächerlicher Name. „r.a.p.h.i.o.l.i.“. Ernsthaft? Außerdem, was soll das heißen „wie süß“? Was soll dieser Kusssmiley? Ihr gefällt das? Ihr gefällt das. Wieso gefällt ihr das? Ihr hat das gerade jetzt gefallen. Moment. Sie ist jetzt online. Ich schließe die App, lege mein Handy auf den Küchentisch und gehe einen Schritt zurück, nein zwei. So als könnte sie mich jetzt nicht mehr sehen. Albern. Sie kann mich so oder so nicht sehen. Sie sieht weder, ob ich online bin, noch, dass ich mir gerade ihre Bilder anschaue. Oder? Auf jeden Fall tut sie das nicht. Langsam nähere ich mich dem Tisch. Ich nehme mein Handy. Ich schaue aus dem Fenster. Menschen an der Ampel. Ich schaue auf mein Handy. Ich öffne die App und lese den Kommentar nochmal: „wie süß ***Kusssmiley***“. Mittlerweile gefällt der Kommentar vier Leuten. Ich schaue mir das Bild nochmal an. Sie sieht schon süß darauf aus. Ich lächle. Ich lächle sie an. Ich schließe die App.
Ich öffne die App und gehe auf ihr Profil. Ich scrolle durch ihre 197 Bilder. Einige kommen mir neu vor, was sie nicht sind, ich kann mich nur nicht an sie erinnern, obwohl ich einige davon gelikt habe. Ihr 115. Bild zeigt sie im Bikini. Vor zwei Jahren war sie also am Mittelmeer an einem abgelegen Strand. Das Bild gefällt mir. Heiß. Sexy. Hübsch. Jetzt bloß kein Doubletab oder auf das Herz kommen, das sieht sonst komisch aus. Schließlich bin ich ihre Bilder schon einmal durchgegangen und habe auch schon Bilder gelikt, die älter sind als dieses. Ich scrolle weiter. Es kribbelt in meiner Nase. Auf dem 95. Bild ist sie als kleines Kind auf einer Schaukel zu sehen. Sie hat es vor drei Jahren gepostet. Ich niese und mein Handy fällt mir fast aus der Hand. Ich kann es gerade so fangen und lege es erst einmal auf den Küchentisch, damit ich mir die Nase putzen kann. Ich drehe mich zum Fenster, schnaube einmal kräftig und beobachte dabei die Menschen an der Ampel. Es wird Grün und sie setzen sich in Bewegung. Ich schnaube ein weiteres Mal, diesmal etwas sanfter. Das Taschentuch wandert in den Müll, mein Handy zurück in meine Hand. Ich entsperre es und stelle mit Entsetzen fest, dass ich das Bild von ihr als kleines Kind auf der Schaukel gelikt habe. Ich schließe die App. Das bringt nichts. Ich öffne die App. Jetzt schnell entliken, bevor sie es sieht. Ich scrolle panisch nach unten bis ich das Bild finde. Bringt das überhaupt etwas? Ich entlike das Bild. Die Benachrichtigung wird sie auf jeden Fall sehen. Ich like das Bild. Ich bin mir nicht sicher, was ich tun soll. Ich entlike das Bild. Das hat es nicht besser gemacht. Mein Gehirn rast, auf der Suche nach einem klaren Gedanken. Ich muss sofort mein Profil löschen. Oh, … sie hat mir eine Nachricht geschrieben. Ich lese: „Hör endlich auf mich zu stalken!!!“, und schließe die Augen.